Tradition und Kommerz – Emotionen oder Heuchelei?

Die Angst der Tradition vor der Zukunft

Gegründet von Kumpeln und Malchochern“, so steht es auf einem Transparent, das Anhänger von Schalke 04 beim Auswärtsspiel am 3. Dezember 2016 bei RB Leipzig als Ausdruck der Verbundenheit mit der Tradition des Klubs zeigten. Es fehlte aber leider der Zusatz: „…und dann verkauft an Gazprom“.

Noch „kreativer“ war die Parole der Leverkusener-Fans am 11. Spieltag der Saison 2016/17. Dort hielten sie Plakate hoch mit der Aufschrift „Aspirin statt Taurin“. Satire oder Selbstironie? Eigentlich sollte man doch lieber auf beides verzichten.

Nun stellt sich bei alledem immer wieder die Frage, was wollen die Fans mit solchen Aktionen ausdrücken? Ist es die Angst, dass die sogenannte Tradition nicht in die Zukunft mitgenommen wird?

Die Zukunft des Fußballs in der Bundesliga wird doch geprägt von der Dominanz des FC Bayern und den verzweifelten Versuchen von sogenannten Traditionsvereinen den Anschluss nicht ganz zu verlieren. Aus heutiger Sicht muss man aber sagen, dass diese Versuche immer mehr scheitern. Kein sogenannter Traditionsverein, ob Dortmund, Schalke oder Mönchengladbach kann dem FC Bayern auch nur annähernd die Dominanz streitig machen. Die Versuche dieser Klubs werden auch immer wieder durch sportliche Rückschläge und Missmanagement begleitet.

Was also wird gebraucht, um für die Zukunft in der Bundesliga wieder mehr Wettbewerb zu erreichen? Ist es nicht eine Symbiose aus Tradition und Kommerz? Ist das nicht auch das Erfolgsrezept des FC Bayern? Also sollte doch friedliche Koexistenz der Systeme das Ziel sein. Die Kommerz-vereine können das sportliche Niveau der Liga heben, die Tradition bringt die Fankultur als existentiellen Bestanteil des Fußballs mit ein. Und am Ende zählt nur die sportliche Leistung. Einfach zu schön, um wahr zu werden.

Aber so einvernehmlich wird das wohl nicht funktionieren. Denn dazu sind die Gestaltungsrahmen viel zu weit auseinander. Doch je mehr sich die Traditionalisten in ihre Tradition flüchten, desto mehr geht es für sie auch zurück in die Vergangenheit.

Fußballklubs müssen heute moderne Geschichten erzählen und keine Märchen aus der Vergangenheit. Müssen sich in eine Metapher zwängen. Müssen sich inszenieren können. Storytelling setzt den Markenkern. Die Einzigartigkeit muss zur Geltung kommen, um sich auf den Märkten der Gegenwart und der Zukunft verkaufen zu können. Es geht dabei heute um Markenbotschaften, es geht um Werbewert und Bildrechte, die heute bei Vertragsabschlüssen eine wichtige Rolle spielen. Ist das alles noch unter den Begriff Tradition zu fassen?

Die Dortmunder Geschichtenerzähler sind inzwischen schon stolz darauf, dass sie 2005 fast pleite gegangen wären. Die Geschichte dazu wird heute unter dem Stichwort: Likeability verkauft. Eine Geschichte, bei der es aber in erster Linie um reines wirtschaftliches, und somit kommerzielles Handeln geht.

Die Story des VfL Wolfsburg ist mit dem Image des Mutterkonzerns verknüpft und somit auch auf Gedeih und Verderb mit diesem verbunden. Und dieses wird dann auch so von dieselaffinen Fußballfans wahrgenommen.

Der Finanzplatz Frankfurt bietet den Rahmen für die Geschichte der Eintracht, die so dann auch Sponsoren im Mittleren und Nahen Osten sucht. Und die IT-Branche ist das Umfeld der TSG 1899 Hoffenheim, der wiederum so auch das IT-Land Indien umgarnt. RB ist in dieser Reihe seine eigene Werbekampagne. Alles eben die logische Konsequenz der Kommerzialisierung im deutschen Fußball.

Wer all dieses richtig wahrnimmt und wer versteht, dass die Bundesliga eine wettbewerbsfähige Zukunft braucht, der braucht keine Transparente und Plakate die nur in die Vergangenheit weisen. Und wer den Wettbewerb annimmt, der wird selbst passende Konzepte entwickeln und auch im Grunde zu passenden Geldgebern Ja sagen, damit er wirtschaftlich und somit auch sportlich wettbewerbsfähig bleibt.

Profifußball ist schon seit einiger Zeit keine Mitbestimmungsveranstaltung mehr und Profifußball braucht auch keine begleitende Mitbestimmung von außen durch Eigeninteressen gesteuerte Fan-Gruppen mehr. Vereine, die brauchen Mitbestimmung, sie existieren dank ihrer Mitglieder. Aber im Profifußball gibt es bis auf zurzeit vier Ausnahmen (Schalke 04, FSV Mainz 05, SC Freiburg, SV Darmstadt 98) nur noch Unternehmen in verschiedenen Rechtsformen. Und deshalb muss man auch fragen, hat sich die FC Bayern AG je von den Fans reinreden lassen?[1]

Je schneller also die jeweiligen Tradition-Klubs ihre Angst vor der Zukunft überwinden, desto wettbewerbsfähiger werden sie.


[1]  De berühmte Wutrede des Uli Hoeneß vom 14.11.2007