Die Kultur der digitalen Weicheier…

….ich blicke in meiner autobiografischen Quadrologie u.a. auch auf sechs Jahrzehnte Berufsfußball zurück. Authentischer Profifußball, wie ich ihn erleben durfte. In einer Zeit, die auch nicht ohne Krisen war, sogar große Krisen, Kuba-Krise, Mauerbau, Ungarn-Aufstand, Prager-Frühling, aber auch Energiekrisen, RAF-Terrorismus und Klima-Krisen, Brandkatastrophe, Sturmflut und Schneekatastrophen und sogar Weltwirtschaftskrise. Aber trotzdem war die Zeit wesentlich entspannter und unaufgeregter. Man ist alledem pragmatisch entgegengetreten. Heute versucht man alles digital zu lösen, und wenn das nicht hilft, dann kommen Mental-Fuzzis und sonstige Coaches, die einen erklären, wer man eigentlich ist, ohne dass die jemand nach ihrer Meinung gefragt hat. Das Leben funktioniert nur noch virtuell, die Innenstädte verwaisen, weil niemand mehr die Geschäfte braucht. Aber das ist eigentlich auch nicht das Thema, sondern eher eine Randnotiz. Denn eigentlich geht es hier um Fußball, oder vielmehr um das, was man heute das Erlebnis Fußball nennt:

Worum es geht, dass ich einmal wieder ungeschminkt sagen möchte, FRÜHER WAR IRGENDWIE ALLES ANDERS (VIELLEICHT SOGAR BESSER)…

  • …früher war mehr Lametta und Rock’n’Roll…
  • …früher hat man verloren, sich einmal durchgeschüttelt und ohne mi-mi-mi weitergemacht…
  • …früher war ein Versagen das, was es war, ein Versagen, ohne Wenn und Aber…
  • …früher gab es dafür Kritik, massiv, schonungslos, offen. Einmal, aber richtig, und das war es dann, kein Nachtreten, niemand war nachtragend…
  • …früher hat man aus den Fehlern gelernt, Konsequenzen gezogen und hatte beim nächsten Mal auch wieder Erfolg…

Nein, ich spreche hier nicht vom Fußball (oder?). Ich spreche hier von meinen persönlichen Erfahrungen, Erlebnissen, Ereignissen, Schule, Ausbildung, Beruf….

…tja, die gute alte Zeit. Alles analog, handgemacht und authentisch.

Niemand dieser Digitalnerds hat diese Zeit erlebt, hat diese Eindrücke und Erfahrungen sammeln dürfen und können, und trotzdem versuchen sie mir (uns) immer wieder das Leben und den Fußball zu erklären. Den Fußball, den es eigentlich so gar nicht mehr gibt. Auf jeden Fall für mich nicht mehr. Wer einmal den richtigen Fußball erlebt hat, die Zeit als Fußball noch Rock’n’Roll war, kann vielleicht verstehen, weshalb ich den letzten Band meiner Quadrologie betitelt habe „Wie ich den Fußball verlor“.

Für mich setzt sich ein schleichender Prozess fort, der dem Erfolgsmodell Profifußball Einhalt gebieten wird. Und die WM  2022 wird einen weiteren Beitrag dazu leisten. Und damit meine ich nicht nur die äußeren Umstände dieser WM, ich meine explizit den Umgang mit sportlichen Fehlleistungen.

Früher hatten die Experten im Fußball noch ehrliche und aufrichtige Stimmen (von Harry Valérien bis Kurt Brumme etc.), die auch tatsächlich was zu sagen hatten, das waren in erster Linie hochkarätige Sportjournalisten und keine Selbstdarsteller und Opportunisten, die nur noch den Quoten, der Reichweite und den Klicks verpflichtet sind, sondern diese echten Journalisten waren allein ihren Lesern, Hörern und TV-Zuschauern verpflichtet. Fundiertes Wissen, statt Standard- und Statistikgeschwafel. Geniale Expertise und ehrlicher, objektiver Journalismus. Was davon haben die inzwischen wie Wildwuchs sich ausbreitenden Medien-Scharlatane heute davon zu bieten?

Aber genauso sieht es in der Fußballblase selbst aus. Alles nur noch Selbstdarsteller, die meinen Fußball wäre das, was allein nur sie verstehen. Sie versuchen verzweifelt diese Fußballunternehmen mit ihren Millionenumsätzen zu lenken, und dieses mit einem sehr limitierten Wissen und einer sehr bescheidenen Expertise über wirtschaftliche Zusammenhänge.

Und wenn man das alles nun in einem kausalen Zusammenhang versucht zu analysieren, dann könnte man durchaus zu dem Schluss kommen, das, was in Katar passiert ist, war voraussehbar, weil die Strukturen nicht mehr stimmen, weil Fußball kein Rock’n’Roll mehr ist und weil zu wenig Lametta da ist. Und so passiert dann das, was diesen Automatismen dieses Geschäftes folgt, der, dessen Namen eigentlich dieses Desaster trägt, nämlich Bierhoff, verabschiedet sich voraussichtlich mit einer kolportierten Millionenabfindung. Belohnung von permanentem Versagen, statt Tritt in den Allerwertesten. Und um nun auch noch der Liga gleich eine Personalie draufzusetzen, wurde fast zeitgleich auch noch die DFL-Geschäftsführerin Donata Hopfen nach noch nicht einmal 12 Monaten im Amt entledigt, was ich auch als Zeichen werte, dass der Profifußball immer mehr in eine Krise hineinschlittert. Sicherlich aber auch für sie mit einer „ausreichenden“ Abfindung. Wie gesagt, früher wurde nicht belohnt, sondern gnaden- und schonungslos abgestraft.

Aber diese Fußballblase ist ein eigener Kosmos. Was dort, allein nur einmal die letzten fünf Jahre einbezogen, an Ablösesummen und Beraterhonorare ohne Wertschöpfung über den Tisch ging, würde wahrscheinlich verteilt als Zuschuss auf jeden Haushalt die Energiekostenerhöhungen bereits erheblich eindämmen.

Aber die Klima- und Energiekrise interessiert die Fußballblase sowieso nicht. Da wird weiter (wg. TV) auch bei Tageslicht das Flutlicht eingeschaltet, da wird die Energie für die Rasenheizung und das Rasensprengen verwendet. Und sogar die Klimaterroristen hat man im Griff. Die kleben sich lieber an der Mobilitätsinfrastruktur fest und behindern massiv das öffentliche Leben bis hin zu lebensrettenden Notfalleinsätzen als sich an die Stadiontore zu kleben und dort auf die Energieverschwendung aufmerksam zu machen.

Statt das Desaster von Katar nun für eine Generalreform des Berufsfußballs zu nehmen, und einmal alle gesellschaftlich relevanten Defizite aufzuarbeiten, insbesondere schonungslos die ausufernden Ablösesummen und Gehaltsstrukturen (Salary Cap, Drafts etc,) auf die Agenda zu heben, macht man das ganze kollektive Versagen aller am Berufsfußball Beteiligter wieder nur an einzelnen Personen fest.

Mein Fazit, früher gab es Persönlichkeiten (in Wirtschaft, Politik und vielleicht auch im Sport), vielleicht keine einfachen Leute, mit Ecken und Kanten und vielleicht sogar mit offenen Händen. Aber es wurde gehandelt, sonst gebe es diese Republik nicht, sonst gebe es die Bundesliga nicht, vielleicht gebe es auch diese Demokratie nicht so, wie wir sie erleben dürfen. Ich bin glücklich, dass ich dieses FRÜHER miterleben und mitgestalten durfte, aber ich bin genauso unglücklich darüber, wohin wir jetzt steuern, mit Leuten, wie sie zuhauf sich in den sozialen Netzwerken und insbesondere auf diesen Business-Plattformen tummeln. Nur digitales und virtuelles Gewäsch, ohne Substanz und Sinn und Verstand. Nur noch Leute, die sich selbst abfeiern und sich gegenseitig beim Clickbaiting supporten. Und dazu gehören auch die Jungdynamischen in der Fußballblase. Und irgendwann wird bestimmt einer dieser Hirnis vor lauter Selbstsucht aus Versehen bei seiner Maniküre mit seiner Nagelpfeile in die Blase stechen und diese wird mit einem lauten Knall zerplatzen….das nennt sich dann „The Big Bang Theory“!  – Ich nenne das die Kultur der digitalen Weicheier!